Regierung und Opposition in den Bundesländern (Text)
Infografik Nr. 092522
Im föderativen System der Bundesrepublik Deutschland nehmen die Länder nicht nur territorial begrenzte Aufgaben wahr, sie sind über den Bundesrat auch an der Gesetzgebung auf gesamtstaatlicher Ebene beteiligt. Da der Bund über Jahrzehnte immer mehr Zuständigkeiten an sich zog, mussten die Länder stärker auf die zentrale Gesetzgebung einwirken, wenn sie ihre Interessen wahren wollten. Der Bundesrat entwickelte sich dadurch zu einer echten Zweiten Kammer neben dem Bundestag – besonders dann, wenn die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat von denen im Bundestag abwichen, wie es seit den 1970er Jahren mehrfach der Fall war. In solchen Phasen vertrat der Bundesrat nicht nur die Positionen der Länder gegenüber dem Bund, sondern entwickelte ein schärfer parteiliches Profil und wuchs so in die Rolle eines bundespolitischen Oppositionsorgans hinein. Bei Gesetzesvorhaben, zu denen der Bund die Zustimmung des Bundesrats benötigte, kam es dann nicht selten vor, dass sie im Bundesrat aus parteitaktischen Gründen verzögert oder blockiert wurden. Häufig erwuchs aus den unterschiedlichen Mehrheitsverhältnissen aber auch der Zwang zum parteiübergreifenden Kompromiss, der eine klare Linie verhinderte und die Zuständigkeiten verwischte. Und manche Gesetze konnten erst passieren, nachdem der Bund die Zustimmung der Länder durch problematisch hohe Gegenleistungen erkauft hatte.
Solchen Fehlentwicklungen vorzubeugen und den Ländern wieder zu mehr Eigenständigkeit zu verhelfen, war eines der Hauptanliegen der Föderalismusreform von 2006. Durch sie wurden die Gesetzgebungsbefugnisse von Bund und Ländern klarer voneinander abgegrenzt. Die Länder erhielten größere Kompetenzen; dafür sollte der Bund in seiner Gesetzgebung nicht mehr so häufig auf die Zustimmung des Bundesrates angewiesen sein. Mit der zweiten Föderalismusreform (2009) verflüchtigte sich dieser Effekt zum Teil aber wieder. Landtagswahlen behalten jedenfalls auch weiterhin bundespolitische Bedeutung.
Seit 1990 wechselten die politischen Mehrheiten auf Länderebene häufiger als zuvor. Angesichts wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Probleme hatten Landtagswahlen oft den Charakter von Protestwahlen gegen die jeweilige Landes- oder Bundespolitik. Zunehmend spiegelte sich in ihnen auch eine allgemeine Politikverdrossenheit und die Tendenz zur Abkehr von den Großparteien. Mit dem Erfolg kleinerer Parteien veränderte sich die Zusammensetzung der Landtage. Die Regierungsbildung gestaltete sich oft schwieriger und zwang die politischen Akteure, auch bislang ungewohnte Koalitionen einzugehen.
Zu einer tendenziellen Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse kam es seit Mitte der 2010er Jahre durch die steigende Popularität der GRÜNEN, die vor allem mit dem geschärften Bewusstsein für die Klimakrise zusammenhängt. Was ihnen bei der Wahl 2021 im Bund gelang – ein zweistelliges Ergebnis und eine Beteiligung an der Regierung –, schafften sie auch in zahlreichen Bundesländern: Mitte 2022 waren die GRÜNEN an zwölf von sechzehn Landesregierungen beteiligt. Dagegen verloren die Union und die SPD fast überall an Stimmen, oft mit Negativrekorden. Die SPD konnte ihr überraschend gutes Ergebnis in der Bundestagswahl 2021 auf Länderebene meist nicht reproduzieren, und auch die CDU glänzte allenfalls in Ausnahmefällen. In Bayern hatte die langjährig alleinregierende CSU schon 2018 die absolute Mehrheit eingebüßt. Auch die drei Kleinparteien FDP, AfD und LINKE verloren in der allgemeinen Tendenz an Stimmen. Die AfD zerrieb sich in inneren Kämpfen, in denen es um das Verhältnis zum rechtsextremen „Flügel“ ging. In den westdeutschen Ländern büßte sie kräftig an Prozentanteilen ein, nur im Osten hielt sie sich in klar zweistelliger Stärke. Die LINKE musste zuletzt in allen Bundesländern Verluste einstecken.
Ausgabe: | 09/2022 |
Produktformat: | eps-Version, Komplette Online-Ausgabe als PDF-Datei. |
Reihe: | 53 |
Reihentitel: | Zahlenbilder |