Tödliche Flucht
Infografik Nr. 708072
Jedes Jahr nehmen Tausende Menschen die waghalsige Seereise über das Mittelmeer auf sich, um nach Europa zu gelangen. Das zeigt die Verzweiflung der Flüchtenden, denn das Risiko ist hoch: Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) bezahlten seit 2014 fast 23 500 Menschen die Seefahrt mit ihrem Leben, und die Dunkelziffer dürfte noch weit höher liegen. Organisiert werden die Überfahrten von Schleppern, die auf der Jagd nach Profit möglichst viele Menschen auf halb abgewrackten Booten zusammenpferchen. Viele Tote bleiben namenlos, ihre Leichen wurden nie gefunden. Soweit bekannt, stammten die meisten der im Mittelmeer umgekommenen Migranten aus Afrika südlich der Sahara. Die übrigen identifizierten Toten kamen aus Krisengebieten in Nordafrika, dem Nahen Osten oder Südasien.
Die Entwicklung erreichte 2016 einen Gipfel, die IOM zählte 5 136 Tote und Vermisste. Danach gingen die Todeszahlen vorerst zurück. Eine Ursache dafür waren Maßnahmen seitens der EU. So startete sie 2015 eine Marinemission im zentralen Mittelmeer: Die „Operation Sophia“ sollte neben der Seenotrettung auch Waffenhandel und Schmuggel unterbinden. Ihre Schiffe retteten Zehntausenden Migranten das Leben und brachten sie meist in italienische Häfen. Doch im Sommer 2018 beschloss die EU – auf Druck vor allem aus Italien – das Auslaufen der Operation. Die Seenotrettung stelle einen Anreiz für Migranten dar, die Überfahrt zu wagen, so das Argument. Ende 2020 wurde „Sophia“ durch „Irini“ ersetzt. Deren Einsatzgebiet liegt weiter östlich, abseits der stark befahrenen Migrationsroute im zentralen Mittelmeer. Die Seenotrettung ist nicht mehr ausdrücklich Teil des Irini-Mandats, der Fokus liegt nun noch stärker auf dem Kampf gegen Schmuggel und auf der Überwachung des EU-Waffenembargos gegen Libyen. Dies trug dazu bei, dass die Zahl der Toten im Mittelmeer im Jahr 2021 wieder deutlich zunahm – zumal private Seenotretter seitens staatlicher Behörden immer öfter kriminalisiert und in ihrer Arbeit behindert wurden.
Unter den Seerouten war jene über das zentrale Mittelmeer auch 2021 die tödlichste. Allein dort starben mehr als 1 500 Menschen. Das Bürgerkriegsland Libyen ist inzwischen zum wichtigsten Transitland für Migranten aus Afrika geworden, obwohl sie dort durch Gewalt, Erpressung und Vergewaltigung bedroht sind. Dabei steht auch die EU in der Kritik, denn bei der Abwehr illegaler Migration stützt sie sich auf die libysche Küstenwache, die für Menschenrechtsverletzungen berüchtigt ist. Im westlichen Mittelmeer lagen die Todeszahlen 2021 bei nahezu 700. Im Vergleich zu den anderen Routen werden Bootsmigranten im östlichen Mittelmeer häufiger gerettet, aber auch dort starben 2021 mehr als 100 Menschen.
Ausgabe: | 03/2022 |
Produktformat: | eps-Version, Komplette Online-Ausgabe als PDF-Datei. |
Reihe: | 53 |
Reihentitel: | Zahlenbilder |