Die Alters-Kriminalitäts-Kurve
Infografik Nr. 131124
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Die Klage über Zügellosigkeit und Ungestüm der Jugend ist uralt und findet sich angeblich schon in babylonischen Keilschrifttafeln und altägyptischen Papyri. Später wurde der Befund, dass Jugendliche häufiger gegen Normen und Gesetze verstoßen, auch statistisch untermauert. So untersuchte im 19. Jahrhundert der Astronom und Statistiker Adolphe Quetelet die französische Kriminalstatistik für die Jahre 1826-29 und fand heraus, dass die Häufigkeit von Straftaten im Jugendalter steil zunahm und im Erwachsenenalter stetig abfiel. Dieser Befund ließ sich seitdem über alle Zeiten und Kulturen hinweg reproduzieren. Für das Phänomen wurde der Begriff der „Alters-Kriminalitäts-Kurve“ gebräuchlich. Besonders ausgeprägt ist der Kriminalitätsanstieg typischerweise bei männlichen Jugendlichen bzw. Heranwachsenden.
Auch in der deutschen Kriminalstatistik bestätigt sich der Befund: Betrachtet man, wie viele Tatverdächtige auf die Gesamtzahl der gleichaltrigen Bevölkerung entfielen, zeigt sich, dass im Jahr 2018 von 1 000 männlichen Jugendlichen rund 80 straffällig wurden, bei Heranwachsenden waren es schon mehr als 100. In höherem Alter sinkt diese sogenannte Tatverdächtigenbelastungszahl kontinuierlich ab. Auch bei den Mädchen ist ein leichter Anstieg im Jugendalter erkennbar, der aber nicht annähernd das Niveau der männlichen Altersgenossen erreicht und sich früher wieder zurückbildet.
Für die höhere Straffälligkeit Jugendlicher und junger Männer existieren mehrere Erklärungsansätze. Die einen legen den Fokus auf physiologische Veränderungen: Straftaten, insbesondere im Gewaltbereich, erforderten eine gewisse Körperkraft und Energie, Aggressivität hänge außerdem mit der Testosteron- Produktion zusammen, und all dies lasse mit zunehmendem Alter nach. Die neurologische Forschung stellt zusätzlich auf Reifeprozesse des Gehirns ab, die rationale Entscheidungsfindung und Impulskontrolle begünstigen und erst ab einem Alter von etwa 25 Jahren abgeschlossen sind. Mehr soziologisch orientierte Erklärungen argumentieren mit dem jugendlichen Streben nach Unabhängigkeit. So lasse im Jugendalter die soziale Kontrolle durch Eltern und Lehrer/-innen nach, während der Einfluss von „Peergroups“ wachse. Erst im höheren Erwachsenenalter würden durch den Eintritt ins Berufsleben und die Gründung einer eigenen Familie wieder mäßigende Einflüsse wirksam.
Für die Prognose individueller Verläufe ist die Alters-Kriminalitäts-Kurve aber nicht geeignet. Dafür sind kriminelle Karrieren zu einzigartig und von zu vielen Faktoren abhängig. Zudem gibt es eine kleine Gruppe lebenslanger, chronischer Straftäter: Sie repräsentieren den langsam abflachenden „Schweif“ der Kurve.
Ausgabe: | 07/2019 |
Produktformat: | Komplette Online-Ausgabe als PDF-Datei. |
Reihe: | 53 |
Reihentitel: | Zahlenbilder |
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