Gefängnisse in Europa
Infografik Nr. 715121
Wer wichtige Rechtsgüter verletzt, muss mit Strafe rechnen. Aber wie soll die Strafe beschaffen sein und welchen Zweck soll sie erfüllen? Einsperren oder nicht? Die Antworten darauf fallen in jedem europäischen Land anders aus. Das zeigt sich nicht zuletzt an den Gefängnissen und ihrer Auslastung. Ein Vergleich, der zu Diskussionen einlädt!
In Verbindung mit dem Europarat, dem 46 europäische Länder angehören, legen Kriminalwissenschaftler der Universität Lausanne jedes Jahr einen detaillierten Bericht über die Lage des Gefängniswesens in Europa vor. Der Bericht liefert unter anderem Informationen über die Zahl der Häftlinge, die Rate der Gefängnisinsassen je 100 000 Einwohner, die Belegung der Gefängnisse, den Anteil von Frauen, Ausländern und älteren Häftlingen an der gesamten Gefängnispopulation, die gerichtlich verfügte Haftdauer und den Anteil der Untersuchungshäftlinge, die ihrem Prozess noch entgegensehen. All diese Mosaiksteine fügen sich zu einem Bild zusammen, das vielfältige Vergleiche zwischen den einzelnen Staaten ermöglicht, Unterschiede in der Rechtsprechung sichtbar macht und auch auf Probleme des Strafvollzugs (z.B. durch Überbelegung der Gefängnisse) hinweist.
Besonders augenfällig sind die Unterschiede bei der Zahl der Inhaftierten je 100000 Einwohner. Traditionell verfolgten die nordischen Staaten eine Politik, die den Schwerpunkt auf die Besserung und Wiedereingliederung von Straftätern legte und nicht so sehr auf die Bestrafung durch langjähriges Einsperren in einer Haftanstalt. Die Bestandsaufnahme zum 31. Januar 2023 bestätigt diesen Befund. So weisen Finnland und Norwegen Gefangenenraten auf, die mit 52 bzw. 55 Gefängnisinsassen je 100 000 Einwohner weit unter dem europäischen Mittelwert (Median) von 107 liegen. Hervorzuheben ist jedoch, dass auch Länder wie die Schweiz, Deutschland und die Niederlande, die in der Mitte des Kontinents deutlich höheren Kriminalitätsbelastungen ausgesetzt sind, eine Politik der Haftvermeidung verfolgen (u.a. durch Ersatz von Haft- durch Geldstrafen oder soziale Arbeit). So lag die Häftlingsrate in Deutschland Ende Januar 2023 bei 69, in der Schweiz bei 73 je 100 000 Einwohner.
In den ehemals sozialistischen Staaten sind auch mehr als 30 Jahre nach der Wende noch weit höhere Gefangenenraten als im europäischen Mittel üblich. Offenbar wirkt in vielen dieser Länder das frühere sowjetische Strafsystem nach, das noch immer die kulturellen Auffassungen über den Zweck der Strafe und die Strafhärte beeinflusst. Wie der Bericht weiter ausführt, sitzen in autoritär regierten Systemen meist viel mehr Menschen im Gefängnis als in demokratischen Staaten. Im europäischen Vergleich – ohne Russland und Weißrussland, die dem Europarat nicht mehr angehören – hatte die Türkei 2023 die mit Abstand höchste Gefangenenrate (409 je 100 000 Einwohner). Noch höher war die Rate allerdings in den USA (2021: 531) – mit einem Spitzenwert von 1067 Häftlingen je 100 000 Einwohner in Louisiana.
Ausgabe: | 08/2024 |
Produktformat: | eps-Version, Komplette Online-Ausgabe als PDF-Datei. |
Reihe: | 53 |
Reihentitel: | Zahlenbilder |