Geschichte der Ukraine - Zwischen Ost und West (Text)

Geschichte der Ukraine - Zwischen Ost und West (Text)
Russlands Krieg gegen die Ukraine ist ein Krieg zwischen Brudervölkern, die einer gemeinsamen historischen Wiege entstammen. Doch anders als Wladimir Putin behauptet ist die Ukraine kein künstliches, von der Sowjetunion geschaffenes Gebilde ohne eigene Geschichte. Wie ist die Ukraine entstanden? Und wie entwickelte sich ihr Verhältnis zu Russland über die Jahrhunderte?

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Anders als die Kriegspropaganda des russischen Präsidenten Wladimir Putin glauben machen will, entstand die ukrainische Nation keineswegs aus dem Nichts, sondern knüpfte an eine spätestens seit der Frühe Neuzeit bestehende ethnologische Entwicklung an. Wahr ist aber, dass Ukrainer wie Russen als auf eine lange gemeinsame Geschichte zurückblicken, deren gemeinsame Wiege sich in der Kiewer Rus verorten lässt: einem im 9. Jahrhundert von wahrscheinlich skandinavischen Kaufleuten, den „Rus“, gebildeten Staat. Dessen Territorium lag entlang der Flusssysteme, welche die Ostsee mit dem Schwarzen Meer und der damals reichen Handelsmetropole Konstantinopel verbanden.

Zentrum war das strategisch günstig am Dnjepr gelegene Kiew. In ihrer größten Ausdehnung umfasste die Kiewer Rus in etwa die heutige Nordukraine, Belarus und das nordwestliche Russland, einschließlich des späteren Gebiets von Moskau. Ihre Herrscher übernahmen das griechisch-orthodoxe Christentum. Im 13. Jahrhundert aber wurde die Kiewer Rus von den Mongolen überrannt und hörte auf zu existieren. Ihren Faden – ein ostslawisches Herrschertum mit christlich-orthodoxer Prägung – nahm erst wieder das nördlicher gelegene Fürstentum Moskau auf, das unter Iwan IV. dem „Schrecklichen“ (1530-1584) zur Großmacht aufstieg und seinen Herrschaftsbereich in den folgenden Jahrhunderten auch auf die heutige Ukraine ausweitete.

In der Perspektive des Moskauer Reiches war die Ukraine eine Randregion an der südlichen Steppe – ihr Name leitet sich vom altslawischen „kraj“ für „Grenzgebiet“ ab. Dort hatten sich vor allem Kosaken angesiedelt: aus Russland und Polen geflohene Leibeigene, die in der herrenlosen Steppe eigene politische Verbände gründeten. Sie gerieten bald in den Sog der angrenzenden Großmächte – des griechisch-orthodoxen Moskauer Reichs im Osten und des lateinisch-katholischen Polens im Westen. Eine historisch zentrale Figur ist dabei der Kosakenführer Bohdan Chmelnyzkyj, der 1649 gegenüber seinen polnischen Oberherren eine autonome Ostukraine durchsetzen konnte – in der ukrainischen Geschichtsschreibung ein „Proto-Nationalstaat“. 1654 schloss Chmelnyzkyj mit Moskau einen Schutzvertrag gegen Polen – für russische Historiker die „Vereinigung“ der Ukraine mit Russland. [...]

Die ukrainische Nationalbewegung lebte erst 1988 in der Folge der Öffnungspolitik von Michail Gorbatschow wieder auf, auch diesmal ausgehend von Lwiw. 1989 wurde die ukrainische Volksfront „Ruch“ gegründet, und im Juli 1990 erklärte sich die Ukrainische SSR für souverän. Die endgültige Entscheidung fiel jedoch nach dem Putsch gegen Gorbatschow in Moskau: Unter diesem Eindruck erklärte die Ukraine am 14. August 1991 offiziell ihre Unabhängigkeit. Dem stimmte die Bevölkerung im Dezember 1991 in einem Referendum mit mehr als 90 Prozent zu. Russland durfte jedoch seinen Flottenstützpunkt auf der Krim (Sewastopol) behalten, und im Budapester Memorandum gab die Ukraine die auf ihrem Territorium stationierten sowjetischen Nuklearwaffen an Russland ab – im Gegenzug für Sicherheitsgarantien.

Ausgabe: 12/2022
Produktformat: Komplette Online-Ausgabe als PDF-Datei.
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