Bundestag setzt Bürgerrat ein

Bundestag setzt Bürgerrat ein

Infografik Nr. 064254

Schrumpfende Wahlbeteiligung, Parteienverdruss und sinkendes Vertrauen in die politischen Institutionen: Diese Erscheinungen findet man heute in vielen Ländern. Auf der Suche nach Lösungen fällt häufig der Begriff "deliberative Demokratie". Der im Juli 2023 eingesetzte Bürgerrat zum Thema "Ernährung im Wandel" soll sie praktisch erproben. Mehr dazu in diesem ZAHLENBILD!

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Die repräsentative Demokratie ist in vielen Ländern der Erde in die Defensive geraten – ablesbar an schrumpfender Wahlbeteiligung und sinkendem Vertrauen in Parteien und politische Institutionen. Häufig wird über die wachsende Distanz zwischen Bürgern und politischer Elite geklagt. Und die öffentliche Diskussion verkümmert, weil viele sich damit zufriedengeben, ihre Ansichten im Milieu der Gleichgesinnten bestätigt zu finden. Um diese Entwicklung aufzuhalten, werden neue Formen der Bürgerbeteiligung vorgeschlagen, die das repräsentative System (dessen Kennzeichen die zeitlich begrenzte Übertragung politischer Macht an gewählte Vertreter ist) ergänzen können. Mit der Einsetzung eines Bürgerrats entschied sich der Bundestag im Juli 2023 mit den Stimmen von SPD, GRÜNEN, FDP und LINKEN für eine dieser Formen.
Abseits der üblichen Wege, auf denen die Abgeordneten der Volksmeinung begegnen, sollen Bürgerräte die Einstellungen und Vorschläge durchschnittlicher Bürger zu einem bestimmten Thema in die politische Debatte hineintragen. Der vom Bundestag eingesetzte erste Bürgerrat befasst sich mit dem Themenkomplex „Ernährung im Wandel“. Am Ende seiner Beratungen, nach einem halben Jahr, soll er ein Meinungsbild dazu abgeben, „welche Maßnahmen die Bürgerinnen und Bürger für eine gesündere und nachhaltigere Ernährung wünschen oder welchen Beitrag sie selbst dafür bereit sind zu leisten“.
Die Teilnehmer des Bürgerrats wurden mithilfe eines Losverfahrens bestimmt. Zunächst wurden 20 000 Menschen ab 16 Jahren nach dem Zufallsprinzip zur Teilnahme eingeladen; von denen, die dazu bereit waren, wurden dann 160 ausgelost und zwar so, dass sich in ihrer Zusammensetzung nach Geschlecht, Alter, Bildung, regionaler Herkunft und Größe des Wohnorts die deutsche Gesellschaft im Kleinen widerspiegelt. Auch wurden Vegetarier und Veganer entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung einbezogen. Die Beratungen des Gremiums werden durch neutrale Moderatoren geleitet. Experten aus Wissenschaft und Praxis stellen begleitend die notwendigen Informationen zum Thema bereit. Ein von den Fraktionen des Bundestags bestellter wissenschaftlicher Beirat nimmt beratend Stellung zum Ablaufplan, zur Formulierung der Leitfragen und zur Zusammensetzung der Expertengruppe.
Die Berufung von Bürgerräten wird unterschiedlich bewertet. Ihre Befürworter sehen in ihnen ein Element der deliberativen Demokratie, das die Kluft zwischen Bürgern und politischen Entscheidungsträgern abbauen kann. Ihre Kritiker halten sie für systemwidrige Fremdkörper in einer repräsentativen Demokratie und machen vor allem verfassungsrechtliche Bedenken gegen sie geltend.

Ausgabe: 09/2023
Produktformat: eps-Version, Komplette Online-Ausgabe als PDF-Datei.
Reihe: 53
Reihentitel: Zahlenbilder
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