Kalte Progression
Infografik Nr. 181277
Lohn- und Gehaltserhöhungen gleichen oft nur den Kaufkraftschwund durch die Inflation aus. Aber weil der Einkommensteuertarif progressiv ansteigt, wird der höhere Verdienst prozentual stärker besteuert. Diesen Effekt nennt man "kalte Progression". An einem Beispiel zeigt dieses ZAHLENBILD, wie er funktioniert. Laden Sie es gleich herunter!
Der Einkommensteuertarif ist in Deutschland progressiv ausgestaltet. Besserverdienende werden im Verhältnis zu ihrem Einkommen stärker belastet als Niedrigverdiener. Oder anders ausgedrückt: Je höher das Einkommen, desto höher der prozentuale Anteil, der an den Fiskus abgeführt werden muss. Auf diese Weise wird den einkommensstärkeren Teilen der Gesellschaft ein überproportional hoher Beitrag zum Steueraufkommen abverlangt. Ein einfaches Beispiel soll dieses Prinzip verdeutlichen: Wer als Alleinstehender ein Jahreseinkommen von 25000 € zu versteuern hat, unterliegt 2023 einem durchschnittlichen Steuersatz von 13,1%. Bei einem Einkommen von 100000 € beträgt die durchschnittliche Steuerbelastung 32,0%.
Die Auswirkungen des prozentual ansteigenden Steuertarifs machen sich aber auch für den einzelnen Steuerzahler bemerkbar, wenn sein Einkommen zunimmt. Klettert sein Jahreseinkommen durch eine Gehaltserhöhung zum Beispiel von 25 000 € auf 27 000 €, steigt die Durchschnittsbelastung nach dem geltenden Tarif von 13,1 % auf 14,2 %. Das Problem dabei: Häufig sind solche Einkommensverbesserungen gar kein echter Zugewinn, sondern allenfalls ein Ausgleich für die laufende Inflation. Obwohl der Einkommensbezieher aufgrund der Geldentwertung für die 27 000 € vielleicht nur genauso viel kaufen kann wie im vorhergehenden Zeitraum für 25 000 €, sein reales Einkommen also gleich geblieben ist, muss er es höher versteuern und rund 560 € zusätzlich an den Fiskus abführen. Diesen Effekt, dass auch inflationsbedingte Einkommenszuwächse progressiv höher belastet werden, bezeichnet man als kalte Progression. Er bewirkt eine versteckte Steuererhöhung, von welcher der Staat automatisch profitiert, ohne dass es dazu eines politischen Beschlusses oder einer Begründung bedarf.
Um die Auswirkungen der kalten Progression zu korrigieren, hat es sich als notwendig erwiesen, den Steuertarif von Zeit zu Zeit abzusenken. So wurden im Zeitraum zwischen 1990 und 2022 zwanzig Tarifänderungen vorgenommen, durch die sich die Belastung vor allem der kleinen und mittleren Einkommen verringerte. (Die Steuerreform von 2002/2005 ging mit ihren massiven Steuersenkungen allerdings weit über eine bloße Tarifkorrektur hinaus.) Seit 2016 erstellt die Bundesregierung alle zwei Jahre einen Steuerprogressionsbericht. Er dient der Überprüfung, wie sich die kalte Progression auswirkt und ob sie durch eine Erhöhung des Grundfreibetrags oder eine Änderung des Steuertarifs neutralisiert werden muss. Bei einer hohen Inflationsrate ist allerdings fraglich, ob eine solche Anpassung der kalten Progression nicht zwangsläufig hinterherhinkt.
Ausgabe: | 05/2023 |
Produktformat: | eps-Version, Komplette Online-Ausgabe als PDF-Datei. |
Reihe: | 53 |
Reihentitel: | Zahlenbilder |