Fragmentierung des Parteiensystems
Infografik Nr. 088505
Mehr als vier Jahrzehnte lang waren im Bundestag nur drei Parteien vertreten (CDU und CSU als eine Partei gerechnet). Nach der Wahl von 2021 schafften sieben Parteien den Sprung ins Parlament: Das Parteiensystem hat sich pluralistisch aufgefächert, die Volksparteien haben an Bindekraft verloren. Wie lässt sich diese Fragmentierung messen? Mehr dazu lesen Sie hier.
Seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der ersten Bundestagswahl hat sich das Parteiensystem in vielerlei Hinsicht gewandelt. 1949 zogen CDU/CSU und SPD fast gleich stark als die Führungsparteien der bürgerlichen Rechten und der demokratischen Linken in den Bundestag ein. Hinzu kamen acht weitere Parteien, darunter die liberale FDP und die KPD. Mit der bundesweiten Einführung der 5 %- Sperrklausel reduzierte sich die Zahl der im Bundestag vertretenen Parteien ab 1953. Nach den Wahlen von 1961 bis 1980 saßen 42 Jahre lang jeweils nur noch drei Parteien im Bundestag (CDU und CSU auf Parlamentsebene als eine Partei gerechnet). In dieser Zeit dominierten die Volksparteien CDU/CSU und SPD, meist in einer Koalition mit dem „Königsmacher“ FDP. 1983 kam mit den GRÜNEN erstmals wieder eine vierte Partei hinzu. Nach der gesamtdeutschen Wahl von 1990, bei der die 5%-Hürde für West- und Ostdeutschland getrennt angewandt wurde, zog auch die PDS (später LINKE) ins Parlament ein. Mit der AfD waren ab 2017 dann 6 Parteien im Bundestag vertreten. 2021 schließlich errang der SSW, der als Vertretung einer nationalen Minderheit von der Sperrklausel befreit ist, ein Mandat.
Die Erweiterung des Parteienspektrums im Bundestag hat mit der nachlassenden Bindekraft der „Volksparteien“ zu tun. Während die Bedeutung traditioneller Wählermilieus wie der Kirchgänger (für CDU und CSU) oder der Arbeiterschaft (für die SPD) zurückging, fühlten sich Teile der zunehmend individualisierten Gesellschaft von den Großparteien nicht mehr hinreichend angesprochen. Diese Lücken besetzten neue Parteien mit ihren spezifischen Themen wie Umweltschutz, mehr soziale Gerechtigkeit oder Migration.
Die bloße Zahl der im Parlament vertretenen Parteien sagt über den Grad der Aufspaltung oder Fragmentierung des Parteiensystems allerdings noch nicht viel aus. Für eine genauere Analyse ist die „effektive Anzahl der Parteien im Parlament“ (ENPP), ein von Laakso/Taagepera 1979 entwickelter Indikator, besser geeignet. Dieser berücksichtigt neben der Anzahl der Fraktionen auch deren Gewicht, d.h. den jeweiligen Anteil ihrer Abgeordneten an der Gesamtzahl der Mandate. Je niedriger die ENPP, desto stärker konzentriert sich Kräfteverteilung im Parlament auf wenige große Parteien. Je höher sie ist, desto breiter verteilen sich die Gewichte. In Deutschland erreichte die ENPP nach dem knappen Wahlausgang 1969 ihren niedrigsten Stand (2,2). 2021 kletterte sie auf einen Rekordstand von 4,8. Das früher herrschende „Parteiensystem mit Zweiparteiendominanz“ ist damit durch ein „pluralistisches Parteiensystem“ abgelöst – so die Kategorisierung des Politikwissenschaftlers Oskar Niedermayer.
Ausgabe: | 04/2024 |
Produktformat: | eps-Version, Komplette Online-Ausgabe als PDF-Datei. |
Reihe: | 53 |
Reihentitel: | Zahlenbilder |