Vertrauensfrage des Bundeskanzlers
Infografik Nr. 088403
In den 75 Jahren seit In-Kraft-Treten des Grundgesetzes wurde vom Bundeskanzler sechsmal die Vertrauensfrage gestellt – entweder um die Regierungsfraktionen zu größerer Disziplin zu zwingen oder um dem Bundespräsidenten die Auflösung des Parlaments vorschlagen zu können. Eine chronologische Zusammenstellung finden Sie in diesem ZAHLENBILD!
Im System der parlamentarischen Demokratie, wie es in Deutschland besteht, ist die Regierung von der Unterstützung durch das Parlament abhängig. Diese Unterstützung drückt sich normalerweise darin aus, dass die Mehrheit, die den Bundeskanzler ins Amt gebracht hat, den Gesetzesvorlagen und politischen Projekten der Regierung zustimmt. Denkbar ist auch der Fall einer Minderheitsregierung, die mit wechselnden Mehrheiten regiert und vom Parlament zumindest geduldet wird. Droht die Unterstützung oder Duldung verloren zu gehen, spricht man von einer Regierungskrise.
Nach Art. 68 des Grundgesetzes hat der Bundeskanzler in einer solchen Situation die Möglichkeit, die Vertrauensfrage zu stellen, d.h. den Bundestag aufzufordern, ihm das Vertrauen auszusprechen. Je nach dem Grad der Vertrauenskrise wird er damit unterschiedliche Ziele verfolgen. ● Häufen sich in der eigenen Fraktion oder der Regierungskoalition die abweichenden Stimmen, kann die Vertrauensfrage dazu dienen, das eigene Lager wieder möglichst geschlossen hinter der Regierung zu versammeln und sie so zu stabilisieren. In der Geschichte der Bundesrepublik ist die Vertrauensfrage erst zweimal mit diesem Ziel gestellt worden: am 5.2.1982 durch Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD), der damit den Koalitionspartner FDP und die Gegner des NATO-Doppelrüstungsbeschlusses in den Reihen der SPD zur Koalitionsdisziplin zwingen wollte, und am 16.11.2001 durch Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), der die Vertrauensfrage zum bisher ersten und einzigen Mal mit einem Sachantrag (zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan) verknüpfte, um den Widerstand zu überwinden, der in den rot-grünen Regierungsfraktionen dagegen aufgekommen war. In beiden Fällen war die dadurch erreichte Bestätigung der Regierung aber nur von kurzer Dauer.
Hingegen wurde die Vertrauensfrage bereits viermal gestellt, ● um nach deren Ablehnung zu vorzeitigen Neuwahlen zu gelangen, von denen sich die Regierung ein stabileres Mandat erhoffte. Findet die Vertrauensfrage nicht die Zustimmung der Mehrheit der Bundestagsmitglieder, kann der Kanzler dem Bundespräsidenten die Auflösung des Parlaments vorschlagen, nach der innerhalb von 60 Tagen neu gewählt werden muss. Dieses Verfahren ersetzt somit faktisch das fehlende Selbstauflösungsrecht des Bundestags. Vertrauensanträge mit dem Ziel der Neuwahl stellten die Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) am 20.8.1972, Helmut Kohl (CDU) am 13.12.1982, Gerhard Schröder (SPD) am 27.6.2005 und Olaf Scholz (SPD) am 11.12.2024. Für Brandt und Kohl ging die Rechnung auf: sie errangen danach überzeugende Wahlsiege.
Ausgabe: | 12/2024 |
Produktformat: | eps-Version, Komplette Online-Ausgabe als PDF-Datei. |
Reihe: | 53 |
Reihentitel: | Zahlenbilder |