Entstehung und Veortung von Parteien: Die Cleavage-Theorie

Entstehung und Veortung von Parteien: Die Cleavage-Theorie

Infografik Nr. 094985

Die Cleavage-Theorie als eine der einflussreichsten politikwissenschaftlichen Theorien befasst sich mit der Frage, in welcher historischen Situation und auf welcher Grundlage politische Parteien entstehen. Aber ist das ursprüngliche Konzept heute noch aussagekräftig? Wie erklärt sich der Niedergang der traditionellen Parteibindungen und das Aufkommen zahlreicher neuer Parteien?

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Die Cleavage-Theorie ist ein politikwissenschaftlicher Denkansatz, der die Entstehung und Positionierung der Parteien auf grundlegende Konfliktlinien in der Gesellschaft zurückführt (engl. cleavage = Kluft, Spaltung). Er wurde 1967 von den Politikwissenschaftlern Seymour Martin Lipset und Stein Rokkan vorgestellt.

Der Cleavage-Theorie zufolge entwickelten sich die europäischen Parteiensysteme vor dem Hintergrund der langfristigen gesellschaftlichen Konflikt- oder Spannungslinien, die im Zuge der politischen und wirtschaftlichen Modernisierung seit dem 16./17. Jahrhundert zutage traten. Die älteste dieser Konfliktlinien verlief zwischen ● Zentrum und Peripherie. Sie zeigt sich im Gegensatz zwischen regionaler Selbstständigkeit und zentral-nationaler Staatenbildung und ist bis heute im deutschen Föderalismus wirksam. Die zweite Konfliktlinie liegt in der Spaltung zwischen ● Kirche und Staat als Ergebnis der Säkularisierung seit der französischen Revolution. Ein für Deutschland bedeutsamer Aspekt betrifft hier die Entscheidung zwischen konfessioneller und staatlicher Aufsicht über das Schulwesen. Im Prozess der Industrialisierung entstand der Konflikt zwischen ● Stadt und Land, ausgelöst durch die Verschiebung zwischen primärem und sekundärem Wirtschaftssektor, d.h. zwischen Landwirtschaft und Industrie. Und schließlich ist auch der Gegensatz zwischen ● Arbeit und Kapital eng mit der Entwicklung der industriell-kapitalistischen Wirtschaftsweise im 19. Jahrhundert verbunden.

Entlang dieser Konfliktlinien spaltete sich die Gesellschaft in verschiedene soziale Gruppen, die jeweils durch gemeinsame Interessen und Werte zusammengehalten wurden. Je nach der gerade vorherrschenden Konfliktlage fanden die Interessen und Werthaltungen eines sozialen Milieus ihre Entsprechung in der Programmatik einer politischen Partei. Beispiel: die traditionelle Verbindung zwischen Arbeiterschaft und SPD bzw. zwischen konservativ-christlichem Milieu und CDU/CSU.

Seit den 1980er Jahren ist die gesellschaftliche Entwicklung durch zunehmende Pluralisierung und die wachsende Bedeutung postmaterieller Werte geprägt. Die Zugehörigkeit zu großen sozialen Schichten oder Klassen löst sich auf, die klassischen Konfliktlinien verblassen und mit ihnen lockern sich auch die überkommenen Parteibindungen. So rücken die ideologisch-programmatischen Grundpositionen der Parteien in den Vordergrund, zwischen denen die modernen Konfliktlinien verlaufen: die zwischen Markt und Sozialstaat einerseits, liberaler und konservativer Werthaltung andererseits. Die Parteienlandschaft fächert sich auf und bietet den Einstellungen der Bürgerinnen und Bürger mehr Anknüpfungspunkte.

Ausgabe: 04/2023
Produktformat: eps-Version, Komplette Online-Ausgabe als PDF-Datei.
Reihe: 53
Reihentitel: Zahlenbilder
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