Akademisierung contra betriebliche Ausbildung?

Akademisierung contra betriebliche Ausbildung?

Infografik Nr. 247152

Die duale Berufsausbildung in Schule und Betrieb galt lange als Kernstück des deutschen Berufsbildungssystems. Seit den 1970er Jahren zeigte sich aber ein deutlicher Trend zur Akademisierung. Immer mehr junge Menschen entschieden sich für ein Studium als Grundlage ihres künftigen Berufslebens. Kommt diese Entwicklung allmählich an ihr Ende?

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Die duale Berufsausbildung in Schule und Betrieb galt traditionell als Kernstück des deutschen Berufsbildungssystems. Im Lauf der Zeit verlor sie auf dem Ausbildungsmarkt aber deutlich an Bedeutung, während schulische und vor allem akademische Ausbildungsgänge eine immer wichtigere Rolle spielten. Anfang der 1950er Jahre kamen im damaligen Bundesgebiet noch fast 76 Lehrlinge auf 10 Studierende; 1970 war dieses Zahlenverhältnis auf 30 zu 10 geschrumpft. Zwanzig Jahre später, 1990, gab es in Deutschland erstmals mehr Studierende als Auszubildende. Und 2021 standen den 2,95 Mio Studierenden nur noch 1,26 Mio Auszubildende gegenüber – ein Verhältnis von 4,3 zu 10! Diese Veränderungen kann man mit individuellen und strukturellen Gründen erklären.
Die Bildungspolitik der Bundesrepublik zielte seit den 1960er Jahren auf höhere Durchlässigkeit des Bildungssystems, eine stärkere Bildungsbeteiligung der Mädchen und mehr soziale Gerechtigkeit ab. Die deutliche Zunahme der Abiturientenzahlen war ein Ergebnis dieser Politik. 2021 verfügte fast die Hälfte (48 %) der 18- bis 20-Jährigen über die (Fach-)Hochschulreife; 1970 lag der entsprechende Anteil erst bei 12 %. Im Zuge dieser Entwicklung, zudem begünstigt durch den Ausbau und die Neugründung zahlreicher Hochschulen, verstärkte sich zwangsläufig auch die Nachfrage nach einem Studium.
Der Wandel der Arbeitswelt trug seinen Teil dazu bei. Auf Grund der wachsenden Anforderungen in immer komplexeren Planungs- und Produktionsprozessen stieg der Bedarf an Fachkräften mit akademischer Ausbildung in raschem Tempo an. Während viele einfachere Tätigkeiten wegrationalisiert wurden, verlangte die zunehmende Technisierung und Digitalisierung nach entsprechend hoch qualifizierten Mitarbeitern. Die junge Generation machte sich die erweiterten Bildungschancen und Arbeitsmöglichkeiten schnell zu eigen. Viele lockte die Aussicht auf besseren Verdienst und höheres Sozialprestige nach einem akademischen Abschluss; andere entschieden sich für ein Studium und gegen eine klassische Berufsausbildung, weil die Vielzahl an angebotenen Studiengängen ihren persönlichen Neigungen und Talenten stärker entgegenkam.
Inzwischen kommt der Trend zur Akademisierung womöglich zum Stillstand. Denn oft gehen die Erwartungen an eine akademische Ausbildung nicht in Erfüllung und statt in einen lukrativen Job führt sie in lange Zeiten der beruflichen Unsicherheit. Demgegenüber lässt sich beobachten, dass theoretische Inhalte auch in der dualen Berufsausbildung immer wichtiger werden – eine Akademisierung anderer Art!

Ausgabe: 09/2023
Produktformat: eps-Version, Komplette Online-Ausgabe als PDF-Datei.
Reihe: 53
Reihentitel: Zahlenbilder
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